Donnerstag, 28 April 2011 12:59

HÖRGERÄTEVERSORGUNG

Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs und der kostenmäßigen Begrenzung der Leistungspflicht auf Festbeträge

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung gilt grundsätzlich, dass die Krankenversicherung dem Versicherten Leistungen als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen hat (§ 2 Abs.2 SGB V), sofern diese Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind (§ 12 Abs.1 SGB V).

Dem Leistungsanspruch liegen damit (mitunter) zwei wesentliche Grundprinzipien zugrunde. Das Sachleistungsprinzip und das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Nach dem Sachleistungsprinzip haben Versicherte Anspruch auf unmittelbare Dienstleistungen (ärztliche Behandlung), Versorgung in zugelassenen Einrichtungen (Krankenhäuser oder andere Einrichtungen) sowie auf Versorgung mit Sachleistungen (Arzneimittel, Hilfsmittel). Über die Kosten der Versorgung haben die Krankenkassen mit den Leistungserbringern Verträge zu schließen, der Versicherte erhält hier in der Regel keinen Einblick.

Eine generalklauselartige Eingrenzung dieses Leistungsanspruchs sieht das Gesetz aber mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot vor.

Leistungen, die …  unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“

Eine besondere Ausprägung dieses Wirtschaftlichkeitsgebots findet sich im Gesetz in der Bestimmung zu Festbeträgen für Hilfsmittel (§ 36 SGB V). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2002 (Az.: 1 BvL 28/95) stellen Festbetragsregelungen ein verfassungskonformes Instrumentarium dar, um die Kostenbelastung innerhalb des gesetzlichen Krankenversicherungssystems zu steuern.

Die Festbeträge sind vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen so festzusetzen, dass Sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§ 35 Abs.5 SGB V).

Bestehen Versicherte auf eine Versorgung, die den Festbetrag überschreitet, laufen sie Gefahr, den übersteigenden Mehrbetrag für selbst beschaffte Hilfsmittel selbst tragen zu müssen.

Der Festbetrag beschränkt die Leistungspflicht aber keinesfalls pauschal. Der Einzelfall ist entscheidend.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Az.: B 3 KR 20/08 R) haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf eine Hörgeräteversorgung, welche die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, soweit die konkret gewählte Hörgeräteversorgung im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörgeräten bietet.

Reicht der Festbetrag hierfür nicht aus, kann mithin der Behinderungsausgleich aller, nach Art und Grad der Schwerhörigkeit vergleichbar betroffenen Versicherten, nicht erreicht werden, bleibt es bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur kostenfreien Versorgung der Versicherten.

In diesem Zusammenhang kann der Versicherte einen Kostenerstattungsanspruch (§ 13 Abs.3 S.1 Fall 2 SGB V) gegenüber der Krankenkasse für selbst beschaffte Leistungen erlangen, sofern wesentliche, im nachfolgenden bezeichnete Schritte eingehalten werden. Ein Kostenerstattungsanspruch ist nur dann eröffnet, wenn eine beantragte Leistung durch die Krankenkasse zu Unrecht abgelehnt wurde und dem Versicherten „dadurch“ Kosten für die selbst beschaffte Leistung entstanden sind. Konkret bedeutet dies:

  1. Es ist bei der Krankenkasse zunächst ein Antrag auf Kostenübernahme der Kosten des Hörgeräts zu stellen,  welches die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt. Ein Vertrag mit dem Hörgeräteakustiker darf zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sein. Unschädlich sind dagegen Vorbereitungshandlungen, die den Versicherten noch nicht vertraglich binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind. Hierzu zählen beispielsweise die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Hörgeräte. Die Entscheidung der Krankenkasse muss abgewartet werden.
  2. Erst nach ablehnender Entscheidung der Krankenkasse darf ein Vertrag mit dem Hörgeräteakustiker über das Hörgerät geschlossen werden, und damit das Hilfsmittel „selbst beschafft“ werden.
  3. Ob die Krankenversicherung die Versorgung mit einem konkreten Hörgerät zu Unrecht abgelehnt hat, bleibt also jeweils eine Einzelfallentscheidung. Ein Hilfsmittelfestbetrag bewirkt nur dann keine Leistungsbegrenzung, wenn der Festbetrag für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht.